Projektionen – Warum wir projizieren und wie

von | Jul 6, 2020 | 6 Kommentare

Warum wir projizieren

Wenn eine Projektion in uns aktiv ist, haben wir in der Regel einen Widerstand oder Einwand, den wir nicht sehen oder anerkennen wollen. Etwas in uns ist nicht akzeptierbar und wir haben mit dem Anteil in uns einen Konflikt, den wir glauben, nicht lösen zu können. Also wird er abgespalten und zum Objekt irgendwo da draußen gemacht. Das läuft absolut unbewusst ab. Überhaupt können Projektionen nur im Dunklen der Unbewusstheit existieren. Sobald du beginnst, sie zu erkennen, beginnen sie im Licht deiner Bewusstheit sich schon aufzulösen.

Das Schwierige an Projektionen ist nicht nur, dass sie unbewusst ablaufen. Sie schenken dir auch einen vermeintlich großen Vorteil und deswegen mögen wir es so gerne, uns den Projektionen unbewusst hinzugeben.

Wenn ich projiziere, wenn ich also irgendwo da draußen den Grund für mich und meine Befindlichkeit finde, dann brauche ich keine Verantwortung zu übernehmen. „Er distanziert sich ständig von mir, er meldet sich nicht mehr bei mir, ständig muss ich auf seine Antworten warten, dann lügt er mich auch noch an, er will mich nicht, er liebt mich nicht und wegen all dem, geht es mir jetzt schlecht.“

Es ist also immer die Schuld des oder der anderen, warum ich mich jetzt gerade so fühle, wie ich mich fühle und aus mir in der Liebe noch nichts geworden ist. Das Schicksal hat es eben nicht gut mit mir gemeint und so kann ich mich in der Opferrolle hin und her wälzen und daraus ein Gefühl der Identität beziehen.

Auch wenn dir das nicht guttut, so weißt du doch wenigstens, wer du bist. Eben die, die immer nur dasselbe mit Männern erlebt.

Damit vermeiden wir, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen und zu entscheiden, ob wir damit zufrieden sind oder nicht.

„Erst wenn der Mensch bereit ist, die Verantwortung für alles, was er erlebt und für alles, was ihm geschieht, zu übernehmen, entdeckt er die Sinnhaftigkeit des Lebens.“ ~ Thorwald Dethlefsen

Doch wie geht das, Verantwortung für dein Leben zu übernehmen?

Es fängt bei den Worten an, die du wählst. Wenn du z.B. sagst: „Ich bin blockiert“, dann hat das nichts mit dir zu tun, dann erlebst du das nur. Die Blockade scheint von irgendwoher zu kommen und du weißt auch nicht, was da los ist. Vielleicht hast du auch ein paar Ideen, wo das herkommen kann.

Wenn du hingegen sagst: „Ich blockiere mich“, bist du direkt beteiligt und das Suchen nach dem Grund findet nicht mehr statt, denn du machst das ja selbst. Was dann auch heißt, dass du es jetzt lösen kannst. Das ist das Geschenk der Eigenverantwortung. Wenn du beginnst, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen, springen dich die Lösungen direkt an. Du selbst bist dann die Lösung für dich. Nicht nur das, du gewinnst noch viel mehr Köstlichkeiten vom Leben.

Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, sagt dazu:

„Die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, bedeutet natürlich ein Mehr an Erfahrungen und Möglichkeiten. […] Ich möchte, dass Sie verstehen lernen, wie viel Sie gewinnen, wenn Sie für jede Emotion, jede Bewegung, jeden Gedanken selbst die Verantwortung übernehmen – und sich für niemanden anderen verantwortlich fühlen. Die Welt ist nicht hier, um Ihre Erwartungen zu befriedigen, und Sie leben nicht, um die Erwartungen der Welt zu befriedigen. Wir berühren einander, wenn wir unverstellt sind, was wir sind, […].

Solange Sie gegen ein Symptom ankämpfen wird es schlimmer. Wenn Sie aber die Verantwortung übernehmen für das, was Sie sich selbst antun – in diesem Augenblick, wo sie Kontakt zu sich selbst aufnehmen, beginnt Wachstum, beginnt Integration.“

Wenn wir unsere Projektionen auflösen wollen, braucht es also, dass wir im aller ersten Schritt die Verantwortung für die Projektionen übernehmen. Dies setzt wiederum voraus, dass du sie auch erkennen kannst. Einen Überblick dazu hatte ich bereits in meinem Blogartikel Ich im Anderen gegeben und gehe hier jetzt detaillierter darauf ein.

Wie wir projizieren

Projektionen gibt es in beide Richtungen. Wir nehmen an oder lehnen ab.

Wenn wir positiv auf jemanden projizieren geht es meistens um:

  • Bewunderung = der andere gefällt mir, ich wäre auch gern so!
  • Bestätigung = ich sehe mich im anderen, so bin ich auch und deshalb mag ich den anderen.
  • Übertragung = der andere erinnert mich an jemanden, den ich sehr gerne mag.
  • Ergänzung = mir gefällt, was ich beim anderen sehe. So bin ich nicht.
  • Verliebtsein = oft eine Ansammlung von allen Punkten hier. Deshalb ist der andere ja dann auch so toll.

Wenn wir negativ auf jemanden projizieren geht es meistens um:

  • Antipathie = so wie der will ich nicht sein, deshalb lehne ich ihn ab.
  • Selbstkritik = so wie der bin ich auch und das lehne ich an mir ab.
  • Übertragung = der erinnert mich an jemanden, den ich nicht mag.
  • Neid = so wie er wäre ich auch gern, erlaube es mir aber nicht und lehne es deshalb ab
  • Konkurrenz = ich finde den anderen gut, so sehe ich mich auch und deshalb lehne ich ihn ab.

Du siehst, Projektionen können sehr vielschichtig sein. Sie begegnen uns in grundsätzlichem zwischenmenschlichen Miteinander, vor allem aber eben auch in Liebesbeziehungen.

Wobei auch diese Darstellung hier längst nicht vollständig ist. So wie wir auf Menschen projizieren können wir ebenso auch auf Dinge, Orte, Wetter, Haustiere, etc. projizieren. Eigentlich kannst du auf alles projizieren, was in irgendeiner Weise in deinem Leben eine Rolle spielt.

Ausschlaggebend ist dabei auch die emotionale Ladung, die mitschwingt. Wenn jemand zu dir sagt: „Ich nehme dich als verletzlich wahr und das veranlasst mich, mich zu distanzieren“, dann spricht hier nicht jemand, der stark auf dich projiziert. Aber eben auch nicht jemand, der bereit ist, die absolute Verantwortung für sich zu übernehmen. Das erkennst du an der Formulierung „… und das veranlasst mich …“ Hier schreibt er deinem Verletzlichsein zu, sich distanzieren zu müssen.

Was anderes ist, wenn jemand sagt: „Ich nehme dich als verletzlich wahr und entscheide mich, mich zu distanzieren.“ Hier spricht jemand, der zu 100% Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt.

Spüre jetzt rein, wenn du die Worte eines Menschen liest, der projiziert:

„Dass du immer so verletzlich sein musst, das ist ja nicht zum Aushalten, da kann man ja nur schreiend wegrennen.“

Da ist ein deutlicher Unterschied zu spüren. Richtig? Abgesehen davon wird der andere komplett verantwortlich gemacht für die Befindlichkeit und die Reaktion desjenigen, der so spricht. Daraus lässt sich recht leicht schließen, dass dieser Mensch ein Thema mit Verletzlichsein hat.

„Was nicht in dir selbst ist, das regt dich auch nicht auf.“ ~ Ruth Cohn

Wenn du dich mit Projektionen und ihren Mechanismen noch nicht beschäftigt hast, wird dir das alles vielleicht erstmal verwirrend vorkommen. Doch du kannst es für dich auf einen so einfachen Nenner bringen, wie du es in Ruth Cohns Worten liest.

Wann immer du dich über jemanden aufregst, lohnt es sich sehr, hinzuschauen und dich zu fragen, was hat das mit mir zu tun? Wo kann ich das, worüber ich mich gerade aufrege, bei mir finden? Billige ich mir ein solches Verhalten nicht zu? Verbiete ich es mir? Hat der andere, was ich nicht habe? Oder erinnert er mich vielleicht an jemanden, den ich absolut nicht mag?

Tue das einfach immer, wenn du dich über jemanden ärgerst, wütend bist, enttäuscht, traurig, u.ä. und schon bist du auf dem Pfad, laufende Projektionen auf den anderen aufzulösen.

Als nächstes kehrst du deine Gedanken über den anderen zu dir und zum anderen um. Aus „Er distanziert sich von mir“ wird „Ich distanziere mich von mir./Ich distanziere mich von ihm“. Aus „Er liebt mich nicht“ wird „Ich liebe mich nicht/Ich liebe ihn nicht“. Aus „Er soll sich bei mir melden“ wird „Ich soll mich bei mir melden/Ich soll mich bei ihm melden“. Du wirst sehen, allein schon durch die Umkehrungen wird sich einiges in dir verändern und du wirst die Projektionen leichter erkennen können.

Das größte Hindernis beim Auflösen von Projektionen ist weniger, sie zu erkennen. Es fängt früher an, denn die meisten Menschen wollen sie gar nicht erst verstehen. Sie wollen nicht hinschauen, denn das würde bedeuten, den bequemen Platz der Opferrolle zu verlassen, von dem aus sie lieber auf andere zeigen.

Instinktiv spürt der Mensch, dass dann noch mehr Fässer in seinem Innern aufgehen, wenn er einmal beginnt, wirklich hinzuschauen und dann kann die Bequemlichkeit schnell in Angst umschlagen. Angst davor, dass da ganz viel Schmerz zu spüren ist, weil da ja entweder bereits ein bewusstes Wissen um die alten Erfahrungen aus der Kindheit ist. Oder weil im Nebel der Unbewusstheit dunkle Geschichten aus der Vergangenheit befürchtet werden.

Doch diese Erleichterung, des nicht tragen Wollens der eigenen Last, ist nur etwas sehr Kurzfristiges. Sie findet nur statt im Moment, wenn die Projektion aktiv läuft. Auf lange Sicht hat das Ablegen der eigenen Anteile beim anderen gleich zwei Konsequenzen:

Einmal können wir diese Anteile, die wir dem anderen zugeschrieben haben, für uns nicht mehr nutzen oder beeinflussen oder dafür sorgen, dass sie sich ihrer Natur gemäß entfalten. Das wiederum hat zur Folge, dass unsere Aktionsfähigkeit drastisch sinkt und gar ganz blockiert.

Zum anderen sind die Anteile jetzt irgendwo da draußen beim anderen und damit auch unsere Energie. Wir schlagen im Grunde mit der eigenen Energie auf uns ein. Wir schieben unsere Anteile dem anderen zu, geben automatisch damit unsere Energie an ihn ab und jetzt wendet sie sich gegen uns.

Da ist der Mann, der sich von mir distanziert. Er ist es, der mir jetzt Kummer bereitet. Dabei erkenne ich nicht, dass ich mich schon ewig vorher von mir selbst distanziert habe, obwohl ich mir doch eigentlich gerne nah sein möchte und schon immer davon spreche, es schaffen zu wollen, bei mir bleiben zu können. „Wenn er sich nicht von mir distanzieren würde, könnte ich mehr bei mir bleiben“, heißt es jetzt. Das, was wir in uns selbst ablehnen, ist jetzt im Anderen und greift uns von da aus an.

Was braucht es, dass du Projektionen auflösen kannst?

Wenn du sie verstehst, beginnst du sie zu erkennen. Wenn du beginnst, sie zu erkennen, beginnen sie sich aufzulösen. Das ist eigentlich sehr simpel. Doch es braucht eine ganz bestimmte Bereitschaft von dir, denn es gibt leider nur einen einzigen Weg aus dieser Verstrickung mit dem oder den anderen:

Der einzige Weg ist das Erkennen und Akzeptieren von unseren dunklen Seiten, von unseren Schatten. Denn das ist es, was bei Projektionen passiert: Du wirst blind für deine eigenen Anteile. Oder anders ausgedrückt: Du schreibst dem anderen deine eigenen Anteile zu. Aber da es ja deine Anteile sind und du sie durch das Verschieben auf den anderen in dir selbst nicht mehr erkennen kannst, werden sie zu deinen Schatten. Zu deinen blinden Flecken sozusagen.

Diese Schatten sind nur solange düster, finster, schrecklich und bedrohlich, solange du sie wegpackst. Wenn du anfängst, die Energie der Schatten wirklich zu fühlen, verlieren sie an Macht. So liegt z.B. in Ärger eine ganze Menge Energie und eine versteckte Kraft.

Wenn du lernst, niedere Emotionen wie Ärger, Wut, Angst, Scham, Schuld, Ohnmacht anzunehmen, zu fühlen und für dich zu transformieren, ohne sie auf jemanden abzuladen, dann werden sie für dich zu einer Quelle an Kraft und Lebendigkeit. Dann transformieren sie sich zu Liebe, Freude und Selbst-Mitgefühl. Dann fängt der Nebel an abzuziehen und du beginnst, die Kostbarkeit und Sinnhaftigkeit des Lebens zu entdecken.

Auch für das Auflösen von Projektionen gilt, wie für alle anderen Themen beim Inneren Wachstum: Die Kombination aus Wissen und Erfahrung führt zur Transformation.

Ich freue mich, wenn ich dir hier mit meinem Artikel einiges an wertvollem Wissen über Projektionen mitgeben kann und dir dieses Wissen hilft, ein bisschen mehr Licht ins Dunkle der Unbewusstheit von Projektionen zu bringen.

 

Herzliche Grüße

Deine Jivana 

 

6 Kommentare

  1. Katja

    Liebe Jivana

    Vielen herzlichen Dank für die ausführliche Erklärung zu Mechanismen von Projektionen. Ich habe es in dieser erhellenden Art und Weise bislang auf keiner anderen Website gelesen. Ich verstehe die Konflikte jetzt endlich besser.

    Viele Grüsse
    Katja

  2. Jivana Lohr

    Das freut mich, liebe Katja, dass dir mein Artikel das Thema Projektion näher bringt.
    Herzlichen Dank für deine Rückmeldung.
    Liebe Grüße
    Jivana

  3. Christine

    Liebe Jivana,
    Ich habe schon viel gelesen in Bezug auf diese Themen. Einige Newsletter bekommen und auch wieder abgestellt. Deine Art zu schreiben, zu erklären holt mich jedes Mal ab.
    Ich bin sehr froh, dich gefunden zu haben🍀😊
    gibt es auch einen Podcast von dir?

  4. Anja Sokolowski

    Danke für Deinen Blog, es bestärkt mich gerade sehr, mit dem Angefangenen, sich noch etwas fremd und manchmal auch grade dadurch unangenehmen anfühlenden weiter zu machen.

  5. Jivana Lohr

    Liebe Christine,
    vielen Dank für deine Rückmeldung zu meinen Beiträgen. Wie schön, dass es dir so gut in meiner Welt gefällt. Das freut mich sehr.
    Ja, ich habe auch einen Podcast. Wenn du auf diesen Link klickst, kommst du dahin: Zum Podcast
    Ich freue mich, dass du da bist.😊💖
    Herzliche Grüße
    Jivana

  6. Jivana Lohr

    Liebe Anja,
    vielen Dank für deine Rückmeldung.
    Das freut mich sehr, dass dich mein Blog bestärkt.💖
    Ja, bleibe auf jeden Fall dran. Es wird dann immer leichter mit der Zeit.
    Herzliche Grüße
    Jivana

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